Die AHV liegt auf dem Sterbebett

Die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) ist ein unverzichtbarer finanzieller Pfeiler für alle in der Schweiz wohnhaften Personen. Die Leistungen aus der 1. Säule bilden einen wichtigen Bestandteil, um die Lebenshaltungskosten im Alter finanzieren zu können. Vor allem aufgrund der derzeitigen Entwicklung bei den Pensionskassen, welche die Leistungen sukzessive reduzieren, ist eine gesunde AHV wichtiger denn je.

Die Credit Suisse publiziert seit Jahren ein Sorgenbarometer und misst so quasi die Temperatur der Schweizer Stimmbevölkerung. Die Sorgen um die AHV wurden im abgelaufenen Jahr am häufigsten genannt. Ängste rund um die eigene Gesundheit oder wegen drohender Arbeitslosigkeit beschäftigen demnach viel weniger Personen. Das Verdikt ist klar, Herr und Frau Schweizer sorgen sich um die Rentensicherheit aus der 1. Säule. Dies sollte eigentlich Zeichen genug sein, dass die Politiker in Bern nicht nur über mögliche Reformen debattieren, sondern endlich auch mehrheitsfähige Lösungen auf den Tisch bringen.

Die letzte Reform, angestossen durch Bundesrat Berset, wurde im September 2017 vom Souverän knapp abgelehnt. Diese hätte eine gleichzeitige Anpassung der AHV und der Pensionskasse an das heutige Umfeld mit steigender Lebenserwartung und rekordtiefer Zinsen vorgesehen. Die Gegner der Vorlage haben verschiedentlich damit argumentiert, dass eine flächendeckende Erhöhung der AHV-Rente nicht finanzierbar sei. Dass die Reform auch Kostensenkungen aufgrund der Erhöhung des Rentenalters der Frauen sowie andere Vorteile durch die Umwandlungssatzsenkung in der beruflichen Vorsorge gebracht hätte, wurde als zu wenig substanziell bezeichnet. Beispielsweise Frau Gössi, Präsidentin der FDP Schweiz, teilte damals an einem Podiumsgespräch mit, dass die Reform abzulehnen sei und die Partei innerhalb von zwei Jahren eine neue und bessere Vorlage bringen würde. Bis jetzt ist davon nicht viel zu sehen. Leider.

Die heutige Medienmitteilung des Ausgleichsfonds der AHV lässt aufhorchen. Aussagen wie «beunruhigende Perspektiven für den AHV-Fonds» oder «die Aussichten für den AHV-Fonds geben weiterhin Anlass zur Sorge» sollten eigentlich Weckruf genug sein. Unsere AHV, die vor über 70 Jahren mit Weitsicht eingeführt wurde, liegt mit einer offenen Wunde auf dem Sterbebett. Die Blutung ist seit langem vorhanden und wird Jahr für Jahr mit einem Pflaster notdürftig versorgt. Eine tiefgreifende Operation mit einer sauberen Naht in Form einer umfassenden Reform wäre dringend nötig. Die nächste Vorlage, über welche das Schweizer Stimmvolk unter dem Titel «Steuerreform und AHV-Finanzierung» im Mai 2019 abstimmt, wird den Zustand der AHV jedoch kaum nachhaltig stabilisieren. Die Milliarden vom Bund stellen lediglich ein etwas grösseres Pflaster dar. «Pflästerlipolitik» – im wahrsten Sinn des Wortes. Mit dem Reformvorhaben «AHV 21» hat der Bundesrat bereits einen weiteren Anlauf angestossen, die Perspektiven der 1. Säule zu verbessern. Hoffen wir, dass die National- und Ständeräte das Thema mit der nötigen Sorgfalt behandeln und die Sorgen der Schweizer ernst nehmen. Anstelle von Parteipolitik braucht die Patientin auf dem Sterbebett die nun längst notwendige Behandlung. Vor allem die jüngeren Bewohnerinnen und Bewohner unseres Landes wären dankbar, wenn die AHV wieder zu ihrem gesunden Zustand zurückfinden würde.